Sonst wäre alles ganz anders.

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Eigentlich ist alles so einfach. Dann auch wieder nicht. Wie das halt so ist. Die Menschen, die den lebensgefährlichen Weg nach Europa auf sich nehmen, sie fliehen vor Krieg und Elend. Das sollte bekannt sein. Doch ist es irgendwie nicht.

Sonst wäre alles ganz anders.

Die Geflüchteten sind nicht zu ihrem Vergnügen unterwegs, und vergnüglich war ihre Reise sicherlich nicht. Sie haben ihre Heimat verlassen, und die Sehnsucht nach dem, was einst ihr zu Hause war, wird sie wohl nicht mehr verlassen.

Aus dem öffentlichen Diskurs ist das Mitempfinden mit ihnen so gut wie verschwunden. Es ist kaum noch von etwas anderem die Rede als vor dem großen Zuviel und dann auch von der großen Gefahr.

Einmal ent/individualisiert, kann man von den Geflüchteten auf eine Art und Weise reden und denken, in der eine ganz alltägliche Menschlichkeit zuweilen kaum noch eine Rolle zu spielen scheint. Hauptsache weg oder gar nicht erst hier angekommen. Jetzt kann man all diese Menschen getrost in Lager an den Rändern Europas internieren oder uns sonst wie vom Leib halten. Dort wo sie dann sind, stört uns auch ihr Elend nicht.

Für manch einem von uns, die wir Asylbewerber in unserem kleinen Ort jetzt schon länger als ein Jahr begleiten, ist dieser Diskurs schwer zu ertragen. Zumal das Gerede nicht Gerede bleibt sondern in Gesetze und Verordnungen gegossen wird, die unmittelbare Konsequenzen für die Geflüchteten haben.

Es ist schwer zu ertragen, wenn es den Geflüchteten aus Syrien nahezu unmöglich gemacht wird, ihre Familien zu sich, zu uns, in Sicherheit zu bringen.

Es ist schwer zu ertragen, wenn Menschen, die wir ein Zeit lang begleitet haben, urplötzlich und gegen ihren Willen nach Ungarn, Bulgarien oder Italien abgeschoben werden sollen.

Es wird schwer zu ertragen sein, wenn sich die abgelehnten Asylanträge der Afrikaner häufen werden. Das Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden haben nur wir, so scheint es.

Eine tatkräftige Ehrenamtliche aus unserem Asylhelferkreis hat uns das obige Bild mit der Anregung, es zu veröffentlichen, zugeschickt. Ihr Mann im Fitnessstudio mit zwei Flüchtlingsmädchen. Er passt auf sie auf. Ihre Mütter sind froh, auch nur mal ein wenig Zeit für sich zu haben.

Ein Erinnerungsfoto, eigentlich nur geeignet für das Familienalbum. Aber es steht für die vielen Momente, die kommen und gehen, ohne dass sie irgendwie, irgendwo auch nur erwähnt werden: das gemeinsame Lernen mit den Flüchtlingen und ihr Lerneifer. Das neugeborene Kind, für einen Moment im Arm. Eine gemeinsame Fahrradtour bis in den warmen Abend hinein. Der junge Mann, und das Leuchten in seinen Augen, als er den von ihm ersehnten Praktikumsplatz erhält.

Aber eigentlich sind all diese Moment, ungezählt und unzählbar, klein und groß zugleich, kaum in Worte zu fassen. Dafür steht dieses Erinnerungsfoto, und es steht für vieles mehr. Es steht für das kleine Glück, das zugleich das Große ist, und immer steht darüber das staatliche Regelwerk, das dieses Miteinander jäh beenden kann und vielleicht bald auch wird.