Grundsatzrede vom 15. November 2015

Liebe Eichenauer und Eichenauerinnen – und in diese Anrede schließe ich ausdrücklich auch die anwesenden Flüchtlingen ein -,  liebe Asylhelferinnen und Asylhelfer,

mein Name ist Hans Sautmann; ich bin der Sprecher des Vorstandes und möchte Sie meinerseits ganz herzlich begrüßen und Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen danken.

Wir haben seit Dezember letzten Jahres hier eine Containerwohnanlage für Asylbewerber – am Schreberweg, im Gewerbegebiet – die mit durchschnittlich 55 Flüchtlingen belegt ist. Die beiden Hauptländer, aus denen unsere Flüchtlinge kommen, sind Syrien und Nigeria. Die syrischen Flüchtlinge haben auch nach den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung hier eine sichere Bleibeperspektive; dennoch dauern die Anerkennungsverfahren für diese Flüchtlinge mindestens 7 Monate, bei vielen sogar noch länger. Sie können sich vorstellen, wie diese Zeit des Wartens und der Unsicherheit an die Substanz geht – und wie schwer es ist, sich unter diesen Umständen auf eine Integration hier bei uns in Deutschland einzulassen – und dennoch tun es die meisten sehr bereitwillig.

Noch schwerer haben es die nigerianischen Flüchtlinge: sie erhalten keinen endgültigen Bleibebescheid, sondern im besten Fall eine immer nur halbjährlich verlängerte sogenannte Duldung. Obwohl in Nigeria die islamistische Sekte Boku Haram ähnlich schlimm wütet wie der Islamische Staat im Nahen Osten – Nigeria zählt nicht zu den Staaten, deren Flüchtlinge hier dauerhaft bleiben dürfen. Wer aber hier immer nur auf Zeit geduldet ist – wie schwer muss es für den sein, sich auf Deutschland, die deutsche Sprache und Kultur und das Zusammenleben hier einzulassen?

Wir Asylhelfer machen diese Unterscheidungen zwischen anerkennenswerten, geduldeten oder gar abzuschiebenden Flüchtlingen in unserer täglichen Arbeit nicht. Einer unserer Grundsätze lautet: Die Flüchtlingshilfe erfolgt unabhängig von Herkunft, Fluchtgrund oder Religionszugehörigkeit der Flüchtlinge.
Wir glauben nämlich, wer sich auf den gefährlichen und weiten Weg aus Afrika, dem Nahen Osten oder auch dem Balkan hierher nach Deutschland gemacht hat, der hat zunächst einmal gute Gründe dafür und bedarf unserer humanitären Unterstützung. Und darin lassen wir uns auch nicht beirren durch diejenigen Politiker, die in letzter Zeit mehr von der sogenannten Überforderung Deutschlands als von dem Leid der Flüchtlinge sprechen.

Wir blicken heute zurück auf ein Jahr ehrenamtlicher Asylhilfe in Eichenau. Wir haben aktuell ca. 180 Menschen auf unserer Helferliste, davon sind an die 100 aktiv tätig, und diese Menschen kommen aus allen Kreisen, politischen Richtungen und Konfessionen. Diese breite Verankerung in der Eichenauer Bürgerschaft heißt aber beileibe nicht, dass wir nicht noch weitere Helfer brauchen, denn so mancher, insbesondere natürlich die voll Berufstätigen, kann ja nur einen kleinen zeitlichen Beitrag leisten. Unn dies gilt umso mehr, als wir ja in Kürze eine zweite Wohnanlage mit noch einmal 55 Flüchtingen am Lindenplatz haben werden, die auch unserer Hilfe bedürfen werden.

Ich darf Ihnen aber sagen, wir Asylhelfer sind durchaus ein bisschen stolz darauf, was wir in dieser Zeit zustande gebracht haben. Wir haben ehrenamtliche Deutschkurse organisiert, wir versorgen die Flüchtlinge mit Kleidung und Dingen des täglichen Bedarfs; wir helfen ihnen bei den für sie oft völlig unverständlichen Amtsvorgängen – sei es im Ausländeramt, auf der Gemeinde, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder beim Job-Center; aber auch bei der Anmeldung von Kindern in Kindergarten und Schule. Sie müssen sich nur einmal vorstellen, dass es dort häufig keine Dolmetscher gibt, ja oft nicht einmal schriftliche Unterlagen in anderen Sprachen als in Deutsch! Viele kommen auch mit gesundheitlichen Problemen – dann helfen wir ihnen, zum Arzt oder ins Krankenhaus zu finden.

Dabei geht es uns nicht nur darum, die ersten Schwierigkeiten überwinden zu helfen; vielmehr wollen wir die Menschen befähigen, sobald wie möglich ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennen wir das – und „Umgang auf Augenhöhe“. Und wir haben auch konkret formuliert, was wir nicht wollen – nämlich jede Art von Überversorgung zu vermeiden, die womöglich zu Passivität oder auch unangemessenem Anspruchsdenken führen könnte.

So etwas sagt sich natürlich leicht – und ist doch in jedem Einzelfall richtig schwer. Wie entscheiden Sie zum Beispiel, ob ein syrischer Patient nach 6 Monaten Aufenthalt hier – inklusive ehrenamtlichem Deutschkurs – schon ohne Dolmetscher beim Arzt zurechtkommt, oder nicht? Über diese und viele ähnliche Fragestellungen haben wir in den letzten Monaten viel miteinander diskutiert und auch gestritten – und dabei unendlich viel Neues gelernt darüber, was Integration und Hilfe zur Selbsthilfe wirklich im Alltag bedeutet.

Bei alldem haben wir aus unserer Gemeinde heraus wirklich vielfältigen Zuspruch und Unterstützung erfahren. Das beginnt mit den selbstlosen Spenden von Kleidung, Fahrrädern, Babyausrüstung und Vielem mehr; geht über die Sportvereine, die Flüchtlinge bei sich aufgenommen haben; den Kleingartenverein, der ein Grillfest mit den Flüchtlingen organisiert hat; über die Gemeinde, die uns mit einem größeren Betrag unterstützt hat (und hoffentlich weiter unterstützen wird) und endet nicht zuletzt mit den Kirchen, die uns ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben und Kirchenasyl in Eichenau und Fürstenfeldbruck gegen drohende Abschiebungen gewährt haben.

All dies gibt uns die Zuversicht, wie die Bundeskanzlerin zu sagen: Wir schaffen das! Und damit sind wir nicht allein: im Landkreis gibt es 17 Asylhelferkreise, und in ganz Deutschland sind es inzwischen hunderte, wenn nicht tausende. Wir haben bislang nicht gehört, dass diese alle kurz davor stünden, ihre Hilfe einzustellen – wie es das Bild von der ‚Überforderung‘ unseres Gemeinwesens suggerieren soll. Ich bin fest davon überzeugt, dass die breite Helferbewegung all den Politikern um Meilen voraus ist, die ängstlich auf die ausländerfeindlichen Stimmungsmacher starren.

Natürlich ist uns klar, dass es nicht leicht wird. Es wird nicht zuletzt eine Stange Geld kosten. Aber am Geld wird es nicht scheitern – sogar der Bundesfinanzminister sagt, das geht im Bundeshaushalt ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden. Es muss die Wohnungsknappheit – nicht nur für die Flüchtlinge – bewältigt werden. Es muss eine Qualifizierungsoffensive umgesetzt werden – die Wirtschaft sucht ja händeringend Nachwuchs. Und es muss – vielleicht das Schwerste – die kulturelle Integration gelingen; aber das geht nicht als einseitige Anpassungsleistung derer, die zu uns kommen, sondern nur durch gegenseitiges Kennenlernen – auf dem Boden unseres Grundgesetzes und auf Augenhöhe.

Wir wollen das gemeinsam mit Ihnen, mit den Eichenauern schaffen. Wir wollen nicht nur Ihre Unterstützung, sondern ausdrücklich auch die Diskussion und den kritischen Austausch mit den Bürgern, mit den Anwohnern und Nachbarn der Flüchtlinge; mit denen, die helfen wollen, aber auch mit denen, die sich Sorgen machen und Angst haben. Dazu haben wir bereits in der Vergangenheit eingeladen, dazu dient der heutige Abend und das werden wir auch künftig so halten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.