Familienzusammenführung – was für ein Tag!

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Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit der Leiterin unseres Arbeitskreises Behörden. Wir sprachen über die Übersetzung eines Informationszettels für Flüchtlinge zum Thema MVV/ Nahverkehr. Ich wollte schon wieder auflegen, da fragte sie: „Kannst Du morgen Mittag die Familie von Dalil am Flughafen abholen?“ – Ein Fall des Familiennachzuges eines jungen Syrers in der letzten Phase – das lasse ich mir nicht entgehen!
Andere Helfer, die dieses Projekt seit langem unterstützt haben, versorgen mich mit den notwendigen Informationen: Ankunftszeit, Flieger aus Istanbul, Gepäck bereits geliefert, etc. Dalils junge Ehefrau wird die beiden Mädchen dabei haben, also müssen noch Kindersitze ins Auto; auch die gibt’s im Helferkreis.
Dalil musste mit seiner Familie aus Syrien fliehen. Sie hatten dort im Kriegsgebiet nichts Gutes zu erwarten. So kam er zuerst nach Deutschland und wollte nach zwei Jahren der Trennung möglichst bald seine Familie nachholen. Zwei Jahre gab es keine Umarmung, ständig die Smartphones in der Hand, … nur ein dünner Faden zur geliebten Familie und Verwandtschaft!
Einer unserer arabisch sprechenden Helfer kommuniziert inzwischen an den etwas aufgeregten Ehemann und Vater , dass ich ihn am Folgetag mit dem Auto abholen werde. Ich mache mich dann auch via Telefon noch kurz als Fahrer bekannt: „Hallo Dalil, hier spricht Rolf, …, ich hole Dich morgen an Deiner Wohnung ab.“ … „Ja, ja, … gut, danke, danke, …!“
Dalil ist längst im Asylverfahren anerkannt, besucht derzeit den Integrationskurs und spricht schon etwas Deutsch. In seiner Wohnung wird die Familie ein Zuhause haben. Er arbeitet zudem in einer Autowerkstatt, macht auch Sport. Ich denke mir: das ist ein gelungener Integrationsprozess – supported by Asylhelferkreis!
Am nächsten Morgen lade ich die Kindersitze ein, besorge noch ein paar Getränke und für die Kinder kurzerhand zwei bunte Plastik-Schiffchen als Willkommensgruß. Als ich in Puchheim an der Wohnung klingle, öffnet sich sofort die Tür. Dalil nimmt mich in den Arm, obwohl wir uns kaum kennen. Er ist schon etwas aufgeregt. Aus dem Keller holt er einen vorbereiteten großen Blumenstrauß.
Dann fahren wir los zur Autobahn. Dalil spricht unablässig. Er erzählt von seiner Arbeitsstelle, auf die er so stolz ist, dass er unbedingt sein Deutsch verbessern will, und dass er überhaupt ein richtiger Deutscher sein will. So geht das, bis wir in Parkhaus P20 am Flughafen einfahren. MUC ist mir vertraut von Dienst- und Urlaubsreisen – doch nun hätte ich mich zwischen den Terminals fast verfahren. Bin ich etwa auch nervös?
Wir sind sehr pünktlich – auf den Ankunftsmonitoren steht gerade „ PC319 … gelandet“. So geht es mit Tüte und Blumenstrauß in schnellen Schritten in den Ankunftsbereich B. Die Glastür ist noch geschlossen, nur wenige Wartende davor. Es dauert, bis die ersten Passagiere am Gepäckband auftauchen. Das sind noch gar nicht unsere Leute, sondern Passagiere aus Qatar. Und außerdem bringen die drei Damen doch nur Handgepäck mit … Wann kommen sie endlich? Es zieht sich. Uns wird warm. Wir gehen noch ein paar Schritte nach hinten durch die Außentür ins Freie. Nun wieder rein an die Glasbarriere, die Dalil von seinem Glück trennt. Worauf habe ich mich hier eingelassen?
Endlich glaubt Dalil ein bekanntes Gesicht zu sehen! Ein paar Augenblicke noch … Dalil tigert hin und her, als müsse er auf die Toilette. „Da hinten …!“ Ich fürchte schon, er wird über die Absperrung steigen. Jetzt öffnet sich die große Glastür für seine Frau und die beiden Mädchen, und sie laufen aufeinander zu. Die Vierjährige ist zuerst bei ihm.
Jetzt muss ich mich umdrehen, denn auch meine Augen werden ziemlich feucht, … Mein Gott, zwei Jahre Trennung. Unter welchen Umständen werden sie sich damals verabschiedet haben? Sie konnten nicht einmal sicher sein, sich jemals wieder zu sehen. Es ist ein Wunder – und die Mädchen fremdeln kein bisschen.
Draußen zwischen den Terminals treffen wir Freunde von Dalil, die er mit dem Smartphone hierher navigiert hat. Großes Hallo, herzliche Umarmungen (ich bin auch nicht ausgenommen), jede Menge Fotos. „Bis bald in München!“
Nun bin ich ein Jahr im Asylhelferkreis, aber ein solches Erlebnis hatte ich bisher nicht. Habe noch von unterwegs an einige Helfer geschrieben: „Ich konnte gewissermaßen die emotionale Ernte Eurer monatelangen Arbeit einfahren.“
Wir fahren zurück nach Puchheim. Die Kinder genießen die Autofahrt, mehr mit sich beschäftigt; ihre Mutter sitzt dazwischen und schaut erwartungsvoll nach vorn. An uns fliegt die grüne Landschaft vorbei. Ich denke kurz an die Bilder, die wir in den Nachrichten aus den Kriegsgebieten kennen. Was geht wohl in dieser Frau vor? Gleich sind wir da, parken vor der Wohnanlage.
Nichts vergessen aus dem Auto. Tasche, die Tüten … und der schöne große Blumenstrauß!
Ich helfe noch beim Tragen. Oben schließt Dalil die Tür auf. „Noch ein Tee?“ – Jetzt nicht, Ihr seid müde und wollt doch erst mal zuhause ankommen. Zuhause?
Salam Dalil! Bis bald auf einen Tee!

Beitrag:
Rudolf Schwarz